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Kleiner Teufel
„Darf ich Ihnen noch ein Glas Wein nachschenken, Maria?“, fragte Moosrainer, nachdem er aus der Küche zurückgekehrt war. „Ich darf Sie doch Maria nennen?“, fügte er leise hinzu, als sie mit einer Antwort zögerte.

Bravo, flüsterte der Rotweinteufel in seinem Hinterkopf: Jetzt sagt sie zum ersten Mal nein und alles ist vorbei, bevor es angefangen hat. Moosrainer biss sich auf die Unterlippe und hielt den Atem an, während der kleine Teufel in ihm weiter das Schlimmste orakelte.

„Ja“, erwiderte sie endlich nach einigen Sekunden, in denen sie ihn nur stumm anblickte.

„Und Sie heißen Josef, nicht wahr?“

„Richtig“, bestätigte er mit seinem charmantesten Lächeln.

„Josef Moosrainer und Maria Kramer sitzen gemütlich beim Abendessen in meiner kleinen Wohnung, trinken kalifornischen Rotwein dazu und genießen den Blick über das nächtliche München. Diese Episode wurde in der Bibel offensichtlich vergessen.“

Der kleine Teufel begann zu kichern. Sie lächelte ihn an, als er neben ihr stand und das Glas erneut füllte.

„Glauben Sie eigentlich an Gott, Josef?“

Bravo, rief der kleine Teufel. Das ist das ideale Thema zwischen Mann und Frau! Moosrainer setzte sich neben seinen Gast.

„Wissen Sie, ich habe noch nie darüber nachgedacht. Mein Leben verlief bisher in so Wohlgelenkten Bahnen, dass ich eigentlich noch keinen Grund sah, mich mit Theologie zu beschäftigen.“

Übergangslos wechselte er das Thema: „Hat Ihnen eigentlich das Essen geschmeckt, Maria?“

„Es war vorzüglich, Josef. Sie sind ein exzellenter Koch. Aber soweit ich weiß, sind Sie das ja tatsächlich, nicht wahr?“

Komm zur Sache, flüsterte der kleine Teufel. Zur Sache, Schätzchen! Moosrainer nickte bestätigend und hob sein Glas.

„Auf Ihr Wohl, Maria. Ich freue mich, dass Sie meiner Einladung gefolgt sind – selbst wenn ich Sie fast überreden musste. Ich kam mir schon vor wie ein geschwätziger Versicherungsvertreter, bis Sie endlich zusagten. Dabei wohnen wir schon seit einem Jahr im selben Haus, Sie unten im Parterre und ich vier Stockwerke über Ihnen. Trotzdem war es ein weiter Weg ... Auf Ihr Wohl, Maria. Ich freue mich, dass Sie hier sind!“

Der kleine Teufel in ihm begann Tränen zu lachen. Einen Moment lang lauschten sie dem dunklen Nachklingen der Weingläser, blickten einander in die Augen und tranken schweigend. Die kleine Uhr auf dem Sideboard neben der Couch läutete leise. Sie hatte noch nicht aufgehört, als durch das offene Fenster die ein paar Straßen entfernte Kirchenuhr ebenfalls zu schlagen begann. Sie schlug dumpfer, aber auch langsamer. Ganz im Gegenteil zu Moosrainers Herz. Seit drei Stunden war sie jetzt bei ihm, hatte kaum etwas gesprochen und wenn, dann freundlich und distanziert, während er mit Kochen und Auftragen beschäftigt war und es dennoch fertig brachte, unaufhörlich auf sie einzureden.

Seit er sich das letzte Mal wegen eines Mädchens so aufgeführt hatte, mussten zwanzig Jahre vergangen sein. Du hast eben nichts dazu gelernt, flüsterte der kleine Rotweinteufel in seinem Kopf. „Dreiundzwanzig“, murmelte Moosrainer kopfschüttelnd.

„Was meinten Sie, Josef?“, fragte Maria und blickte ihn etwas verwirrt an.

Na los, erzähl ihr von diesen Peinlichkeiten, flüsterte der Teufel in ihm. Sie wird sich totlachen. Moosrainer stellte das Glas auf den Tisch zurück und lächelte etwas verlegen.

„Entschuldigen Sie, Maria. Ich war einen Augenblick in Gedanken ...“

„Ich verstehe. Sie haben Recht, Josef. Es ist auch schon elf Uhr und höchste Zeit, den schönen Abend zu beenden.“

Sie meinte es ernst, wie ihrem Gesichtsausdruck unschwer zu entnehmen war. Das winzige Grübchen auf ihrer linken Wange, das ihr Lächeln so unwiderstehlich für ihn machte, war ebenso verschwunden wie der schimmernde Glanz in ihren Augen. Moosrainer zuckte zusammen und hob beschwörend beide Hände hoch.

„Um Gottes Willen, nein! Ich bin doch so froh, dass Sie endlich meiner Einladung ... Ich meine, ich war nur ... Maria, ich ...“

Er hörte auf zu stammeln, weil sie plötzlich wieder lächelte. Sie hält dich für einen Verrückten, wisperte der Dämon in ihm. Maria drehte das Weinglas zwischen ihren Händen.

„Ich finde Sie sehr sympathisch, Josef. Es war auch ein wunderschöner Abend mit Ihnen. Aber ich möchte doch etwas zwischen uns klarstellen ...“

Moosrainer nahm endlich seine Hände herunter, atmete tief ein und blickte ihr in die Augen. Sie erwiderte seinen Blick, nahm aber ihre Hände vom Tisch, als Moosrainer versuchte, eine davon zu berühren. Ohne den Augenkontakt mir ihr aufzugeben, legte er seinen Arm sanft um ihre Schultern. Er spürte, wie sich verspannte und zurück weichen wollte. Aber ihre Augen lächelten dennoch, selbst das faszinierende Grübchen war wieder neben ihrem Mund zu sehen.

„Maria, ich weiß, was du sagen willst“, flüsterte Moosrainer, während er seine rechte Hand hob und ihr eine Haarsträhne aus der Stirn strich, die sich einladend gelöst hatte. Maria öffnete ihren Mund, aber Moosrainer legte ihr den Zeigefinger auf die Lippen. Sie schloss kurz die Augen, dann ließ sie es wieder zu, dass er darin ertrank. Unmerklich wurde der Abstand zwischen ihren Gesichtern geringer. Moosrainer streichelte ihre Wange, tastete über das Grübchen und liebkoste in seiner unbeholfenen, maskulinen Art ihre halbgeöffneten Lippen, während er mit der anderen Hand ein sinnloses Spiel mit Marias schulterlangen Haaren begann. Und immer noch blickten sie einander in die Augen. Er, vollkommen überwältigt von diesem Augenblick und sie, eher reserviert abwartend auf das, was folgen würde und die gefrorene Zeit entweder zerspringen ließ oder zu Äonen ausdehnen würde.

Selbst der kleine Teufel gab sich dem schweigenden Mirakel hin, das die beiden Menschen in diesem Zimmer einhüllte. Eine der vielen Kerzen, die Moosrainer im Zimmer aufgestellt hatte, erlosch mit einem kaum hörbaren Zischen.

„Josef“, flüsterte Maria kaum hörbar, „ich glaube nicht, dass wir das wirklich ... Was versprichst du dir davon? Eine neue Erfahrung mit einer ...“

Moosrainer küsste ihr den Einwand einfach von den Lippen. Wieder zögerte sie einen winzigen Moment, wollte ihn von sich stoßen, doch ebenso schnell kam sie ihm entgegen, erst sanft und tastend, dann fordernder und anschmiegsam zugleich. Er umfasste ihr Gesicht mit beiden Händen, als hätte er Angst, sie könne ihm entgleiten, während sie einander küssten.

Dann, plötzlich mutiger geworden, umfasste er sie mit der Linken, während seine Rechte langsam über ihren Hals zum Oberarm weiter wanderte, sanft über ihre Brüste strich und irgendwann, mit der Selbstverständlichkeit eines Reisenden, für den der Weg das Ziel, aber nicht das einzige ist, auf ihrem Schoß liegen blieb. Und noch immer küssten sie sich, mit jeder Sekunde leidenschaftlicher und in dem Maß, in dem ihre Vertrautheit sich füreinander öffnete, wuchs das Verlangen in Moosrainer.

„Maria“, flüsterte er irgendwann mit heiserer Stimme dicht vor ihrem Mund, „Maria, ich will mit dir schlafen. Du machst mich wahnsinnig!“

„Du weißt, dass das vollkommen dumm wäre!“, flüsterte sie schwer atmend zurück. „Wozu soll das gut sein? Ich will es nicht. Ich habe es nicht mehr gemacht, seitdem ich – du weißt schon. Es ist besser, wir belassen es dabei.“

Doch in ihren Augen konnte er lesen, dass sie das Gegenteil meinte. Und an ihrer zitternden Hand, die auf seinem Oberschenkel lag, nur einige wenige, die Erfüllung versprechende Zentimeter von seinem erigierten Glied entfernt, spurte er, dass auch ihre Lust wuchs.

Er küsste sie wieder, genoss das Spiel mit der Zunge, ließ seine Hände wieder über ihren Körper gleiten, bis sie sich auf den Rhythmus seines Spiels völlig einließ und sogar selbst jene Varianten einbrachte, die einen Mann verrückt und eine Frau zur völligen Hingabe bereit machen können. Der kleine Teufel in Moosrainer hatte sich in die stille Rolle eines Voyeurs zurückgezogen und schwieg selbst dann noch, als sich die beiden irgendwann einmal schwer atmend voneinander lösten und sich Moosrainer erhob.

„Maria, komm. Lass uns ins Bett gehen ...“

Sie strich sich langsam die Haare aus dem Gesicht, versuchte mit einer fahrigen Bewegung ihre geöffnete Bluse zu schließen und erwiderte dann mit gesenktem Kopf: „Ins Bett gehen? Wie stellst du dir das vor?“

Moosrainer starrte einen Moment fassungslos auf die vor ihm Sitzende. Erst als sie wieder aufblickte, das Lächeln, das Grübchen und die schimmernden Augen ihn anstrahlten, verstand er ihre Bemerkung. Er schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn, dann beugte er sich zu ihr herab und küsste sie noch einmal lange.

„Das kommt davon, wenn du mich so verrückt machst, dass mein Verstand aussetzt!“, flüsterte er ihr ins Ohr.

Und während der Kobold in ihm ein letztes Mal höhnisch zu kichern begann, schob er Marias Rollstuhl vom Tisch weg, hob sie vorsichtig hoch und trug die Querschnittsgelähmte in sein Schlafzimmer. Den kleinen Teufel ließ er bei den halbvollen Rotweingläsern zurück, wo er sich irgendwann, Stunden später, mit den verlöschenden Kerzen in Rauch auflöste.

Erich Schanda

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